Um 7:15 Uhr klingelt der Wecker, J.S. quält sich aus dem Bett, wirft ihre Siebensachen zusammen und verlässt das Haus in Richtung trolebús Station. Der trolebús hat zwei Vorteile und 724 Nachteile. Zu Ersteren: Er wird elektrisch betrieben, hat also somit eine Null-Schadstoff-Bilanz und er ist momentan gratis (zumindest auf einigen Strecken). Dies rührt daher, dass aufgrund der großen Luftverschmutzung alle Autos ein bis zwei Tage die Woche Fahrverbot haben, weshalb die Regierung den Bewohnern mit der Aufhebung der Fahrpreise für den trolebús entgegenkommen wollte. Leider ist dieser ranzige, heruntergewirtschaftete Bus grundsätzlich überfüllt bis zum Schlechtwerden; Man muss sich beim Warten in eine Schlange einreihen, die meist so lange ist, dass sie einen U-turn um die Haltestelle macht. Je nach Überfüllung kommt es häufig vor, dass der Bus ohne zu Halten vorbeirauscht und zwanzig Meter weiter nur Leute aussteigen lässt. Außerdem ist es erstaunlich, wie die Fahrer auf einer schnurgeraden Strecke (Eje central/Lázaro Cárdenas) diesen Bus und seine Insassen durch ihre Fahrweise malträtieren. Aber gut, seitdem J. weiß, dass man hier einen Führerschein einfach beantragt und bezahlt, ist ihr so Einiges klargeworden. So, genug der Ausschweifungen. J. yogiert also ihre morgendlichen Aggressionen auf den trolebús weg, nachdem sie eine ausführliche Runde die beiden Studiohunde Lea und Chewbacca gekrault hat (ehrlich gesagt sehen allerdings beide aus wie Chewbacca)…

Danach holt sie sich mit ziemlicher Sicherheit einen Orangen-Grapefruit-Saft an der Straße, versendet eine inhaltsfreie Sprachnachricht an Miriam und macht sich auf den Weg in die Arbeit. Es hat inzwischen schon an die 30 Grad, aber im Büro ist es etwas kühler. Alondra, ihre Kollegin (siehe oben im Beitragsbild), erzählt von ihrem gestrigen Abend, während beide semimotiviert ihre Computer anschmeißen. Zahlreiche Anrufe und Mails bei Journalisten, Pressemitarbeitern, Schauspielern und solchen, die sich für welche halten, Sängern, Regisseuren, Workshop-Koordinatoren und sonst noch wem, zwei Gängen zum Copyshop, einer Neubestückung des Glaskastens außen mit aktuellen Postern der Stücke, einem persönlichen Gespräch mit einem Schauspieler, einem Ausglätten einer Beschwerde zweier verfeindeter Besetzungen verschiedenen Aktualisierungen der Webseite und einigen lustigen Youtube-Videos oder Facebook-Stalking-Expeditionen später holt J. und Alondra der Hunger ein. Es braucht nur einen wissenden Blickaustausch, um das Mittagessen zu klären – mindestens zweimal pro Woche spazieren die beiden zur Glorieta de los Insurgentes, wo es einen Stand mit veganen Tacos und Sandwiches gibt, um den sich meist eine Traube alternativer Mexikaner schart – unter diesen auch J. und Alondra – um sich mit veganen Würstchen, veganem Schnitzel oder veganen Taco-Fleischstückchen den Bauch vollzuschlagen.

vegane Tacos
Gatorta heißt der Stand. Vorne in den Schüsseln sind Kartoffeln, Nopales (Kaktus), Zwiebeln, Saußen,…wovon man sich noch ordentlich auftun kann, obwohl die Portionen eh schon üppig sind
Tacos II
100% vegan

Zur unverzichtbaren Tagesroutine gehört auf jeden Fall ein Plausch mit der unglaublich lieben und witzigen Putzfrau auf der Arbeit und eine dicke Kuschelattacke mit dem wohl zauberhaftesten Hund aller Zeiten, Bruno, der dem Ober-Ober-Mufti der casa fusión gehört.

Auf dem Nachhauseweg stoppt das Fräulein J. noch beim tianguis, dem Wochenmarkt gleich um die Ecke. „Was werden Sie mitnehmen? Was geben wir Ihnen, güerita?“, schallt es J. entgegen. Zur Erklärung: güero bzw. güera ist das mexikanische Slang-Wort für „blond“/“blonde Person“ (Das ü wird wie ein u ausgesprochen – ein seltener Fall eines ü im Spanischen, dessen Erklärung hier jetzt aber den Rahmen sprengt). Frischer Spinat, Tomaten, queso de Oaxaca, die obligatorischen Avocados – bitte eine zum heute Essen und zwei für in ein paar Tagen; Welche Mangos sind am süßesten? Ohne Tüte! Ooooh-ohhne Tüte!! (Flashbacks vom Maybachufer drängen sich J. vors innere Auge). Für die Ersparnis der Tüte bekommen Sie noch zwei Bananen geschenkt, Señorita. Danke, bis später dann (man sieht sich vermutlich nie wieder). Ja bis später, passen Sie auf sich auf, auf dass es Ihnen gut gehen möge. Gleichwohl!

Zuhause wird das frische Gmias gleich in ein Abendessen verwandelt; Inzwischen regnet es in Strömen. Wer schreibt? Ob man noch ein Bierchen trinken gehen möchte? Ja selbstverständlich. Um 9? Ja das passt perfekt. Um 22:10 Uhr trifft J. in der Bar ein, ihre Freunde sind vor fünf Minuten angekommen und haben noch nicht mal Getränke vor der Nase. Das wird aber schnell geändert und ein paar Bierchen und einen Mezcal später stellt man erschrocken fest, dass es schon wieder spät geworden ist. Per Uber geht es nach Hause, wo eine angeheiterte J. den Fahrer fröhlich zuplappert, der den Wortschwall mit einem geduldigen Lächeln quittiert. Gute Nacht Señorita! Ja gute Nacht, passen Sie auf sich auf!

Ich hoffe, dieser Beitrag war nicht allzu fad, aber falls doch, hab ich hier noch ein Bild, das ich sehr interessant finde. Es beschreibt die Größendimension Mexikos und deutet an, wie vielfältig dieses Land ist. Man betrachte es sozusagen wie eine 9Gag Kartoffel.

How big is México?

Ein Gedanke zu “Aus dem Alltag der Señorita J.S.

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