Fünf Uhr nachmittags, die Metro ist brechend voll. Ich stehe dicht gedrängt zwischen müden, schlappen Mexikanern, die nach einem anstrengenden Tag einfach nur ihre täglichen tacos essen und nach Hause möchten. Ein Herr Mitte Fünfzig stupst mich an und macht mich auf einen gerade frei gewordenen Sitzplatz aufmerksam. Ja, mich. Inzwischen winke ich legere ab, aber als mir das die ersten Male passiert ist, überkamen mich verschiedene Gefühle – Befremdlichkeit, Verdutzen, etwas Verärgerung sogar. Warum bietet MIR ein Herr, der mindestens doppelt so alt ist wie ich, einen Sitzplatz an? Ich sehe weder gebrechlich noch kränklich noch schwanger aus – im Gegenteil, wahrscheinlich bin ich gerade unterwegs zum Yoga oder Capoeira oder zum Ausgehen. Man stelle sich vor, das würde einem in Berlin passieren…

Es gibt hier eine sehr seltsame, nun ja, nennen wir es „Gentleman-Politik“, die mir gar nicht gefallen möchte. Darunter fallen neben dem Anbieten eines Sitzplatzes für eine noch so junge und fit aussehende Frau viele weitere Gesten: Beim Aus- bzw. Absteigen aus dem Bus (oder Boot) oder sonstigen Stufen wartet ein Mann mit ausgestrecktem Arm, um den Damen herunterzuhelfen. Allein diese Geste macht mich meistens schon so wütend, dass ich den ausgestreckten Arm am Liebsten wegschlagen würde, aber natürlich benehme ich mich und ignoriere ihn einfach mit erhobener Nase. Ein anderes, besonders schönes Beispiel der „Gentleman-Politik“ inkludiert das Öffnen der Autotür (auch allen anderen Türen, aber beim Auto ist es besonders markant): Frau wartet auf dem Beifahrersitz, bis Mann den Motor ausgeschalten hat, ausgestiegen und um das Auto herumgelaufen ist, um ihr die Tür zu öffnen. Ich höre schon die Stimmen der Romantiker, die jetzt säuseln „ooooh wie toll“ – aber meiner Meinung nach ist es das einfach nicht. Ich möchte keine bevorzugte Behandlung, und erst recht möchte ich nicht, dass ein Mann versucht, mir irgendwo herunter- oder heraufzuhelfen oder mir einen Sitzplatz anzubieten. Das wäre nur dann in Ordnung, wenn diese eben genannten Gesten geschlechterunabhängig passieren – warum kann ich nicht einem Freund die Autotür aufhalten, ohne schräg angeschaut zu werden? Oder ohne dass er schräg angeschaut wird?

Ich ärgere mich jedes Mal, wenn ich mit einem Freund im Restaurant die Rechnung bestelle und der Kellner sie automatisch zu ihm legt – all diese kleinen Gesten zeugen von mich von einer gewissen Rückständigkeit, was Gleichbehandlung betrifft. Und ja, da gehören immer zwei dazu – ich sehe viele mexikanische Frauen, die sich genau auf diese Weise behandeln lassen möchten. Aber solange all diese Gesten und das Bezahlen im Restaurant nicht auf Gegenseitigkeit beruht, stigmatisiert dieses Verhalten meiner Meinung nach die Frau zu einem Wesen, das von einem Mann beschützt werden will. Ich will nicht sagen, dass man aus Höflichkeit oder Zuvorkommenheit keinen Sitzplatz mehr anbieten darf, ich möchte nur betonen, dass dies geschlechterunabhängig passieren sollte. Statt mich, Anfang zwanzig und ohne körperliche Beeinträchtigungen, sollte der Herr Mitte Fünfzig in der Bahn viel lieber den Herrn Mitte Siebzig antippen, der mir genau gegenüber steht und zudem eine schwere Tasche trägt.

Frauen, die im Club keinen Eintritt zahlen? Hier die Normalität, in Berlin unmöglich – und selbst wenn es dort mal eine solche seltsame Veranstaltung geben würde, würden wir uns den Eintritt als Gruppe aufteilen, sodass alle gleich viel zahlen. Ich genieße es wirklich sehr, in Berlin auf ein Date gehen zu können und an der Bar zwei Bier zu zahlen, ohne dass es irgendeine Art von Aufmerksamkeit erzeugt. „Ich zahl die nächste Runde,“, sagt mein Date. Läuft.

Unter Freunden geht das hier auch problemlos – ob das jetzt an meinem Freundeskreis liegt oder an der Generation Anfang/Mitte zwanzig…aber tendenziell fühle ich mich hier ungleich behandelt, auch wenn das eben oftmals vordergründig „zu meinem Vorteil“ geschieht.

Ich hoffe, niemanden mit diesem Beitrag wütend zu machen – ich weiß, dass Gleichberechtigung ein riesiges Thema ist, dass ich nicht einmal im Ansatz angesprochen habe und das sich nicht an Autotüren und Clubeintrittspreisen messen lässt. Es war sozusagen nur ein Teaser für einen weiteren, bald folgenden Beitrag, in dem ich genauer auf die Situation der Gleichberechtigung eingehen möchte.

Etwas ab vom Thema: Ich habe mir erlaubt, ein zwei schöne alte Bilder von Simon in diesen Beitrag einfließen zu lassen, weil ich vergangene Woche gar keine Bilder gemacht habe…das Beitragsbild ist übrigens noch aus San Miguel de Allende…

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